Allgemeines
Name
Нязвіж (Njaswisch). Das ist die weissrussische Schreibweise – auf Russisch schreibt man den Ort Несвиж (Njeswisch). Das ergibt eine Vielzahl unterschiedlicher Transkriptionsweisen: Neswisch, Neswish, Nesvish, Njaswish, Njasvish usw. Die internationale und deshalb hier benutzte Transkription macht daraus den Namen Nyazvizh bzw. auch Njazvizh.
Lage
Nyazvizh liegt in der tiefsten weißrussischen Provinz und ist mehr als 100 km südwestlich von Minsk entfernt. Die nächstgelegene Großstadt nennt sich Баранавічы (Baranavicy alias Baranowitschi) und liegt gute 50 km westlich. Südlich von Nyazvizh gibt es ein paar flache Hügel; noch weiter südlich beginnt ein sehr grosses, kaum bewohntes Sumpfgebiet. Ansonsten ist die Umgebung flach, wird von kerzengeraden Alleen durchzogen und hauptsächlich landwirtschaftlich genutzt. Vor 1939 verlief die polnische Grenze nur wenige Kilometer westlich von Nyazvizh.
Einwohner
Laut Pfarrer leben in Nyazvizh an die 14’000 Menschen.
Stadtbild
Die Stadt zählt zu den am besten erhaltenen historischen Orten, was man sofort im Zentrum erkennt. Nyazvizh erstreckt sich von Nord nach Süd entlang einer langen Strasse, wobei der nördliche Teil neu und weniger interessant ist. Besagte Strasse ist die вул. Саветская (Strasse des Sowjets), welche schliesslich direkt zum zentralen Platz führt. Keine 10 Minuten zu Fuss vom zentralen Platz entfernt liegt der Busbahnhof der Stadt auf der linken Seite der Strasse der Sowjets. Am zentralen Platz geht die вул. Ленінская (Leninstrasse) Richtung Schloss ab. Rund um diesen Bereich konzentrieren sich die Sehenswürdigkeiten dieser Kleinstadt. Das Schloss selbst liegt etwas abseits, ist aber auch nur gute 10 Minuten vom zentralen Platz entfernt.
Geschichte
Erstmals erwähnt wurde der Ort im 13. Jhd., womit Nyazvizh relativ gesehen ein junger Ort ist, denn die meisten anderen grossen Städte Weissrusslands wurden im 11. Jahrhundert gegründet. Richtig Schwung bekam der Ort, als in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhundert die polnische Adelsfamilie Radziwiłł (Radziwill) Nyazvizh zu ihrem Stammsitz erklärte. Von 1584 bis 1616 wurden aussergewöhnlich starke Befestigungsanlagen von italienischen Meistern gebaut. Die Radziwills waren sehr einflussreich – ein Vertreter der Dynastie war zum Beispiel der Großherzog von Poznań. Die erste Druckerei Weißrusslands wurde 1562 hier betrieben und gab für die Belarus kulturell sehr bedeutsame Bücher heraus.
Die Stadt selbst wurde zu einem bedeutenden Handelszentrum. Im 16. und 17. Jhd. entstanden zahlreiche wichtige Bauten – das Schloss, polnische Kirchen, Klöster der Bernhardiner, Zisterzienser, Dominikaner und Jesuiten und ein Krankenhaus. Im 18. Jahrhundert kamen eine Kapelle, eine Offiziersschule, ein Theater und mehr hinzu. Leider wurde später die Stadt mehrmals zerstört. Und doch gehört Nyazvizh zu einem der besterhaltenen Orte der Belarus.
Anreise
So ziemlich alle Wege nach Nyazvizh führen über Гарадэя (Garadeya), auf russisch Городея. Garadeya liegt gute 15 km nördlich von Nyazvizh an der Berlin-Moskau-Bahnlinie. Internationale Züge halten dort allerdings nicht. Nach Garadeya kommt man mit dem Bus (30 Minuten, 0.50 Euro) oder man teilt sich mit anderen ein Taxi (wenn vier Leute zusammenkommen 1 Euro pro Person). Busfahrscheine in Garadeya gibt es im Bahnhof, der Bus fährt vom Bahnhofsvorplatz ab.
Von Garadeya kommt man mit der Elektritschka (S-Bahn) nach Minsk (2 Stunden, 1.2 Euro), Baranowitschi (1 Stunde, 0.40 Euro) und sogar bis nach Brest (5 h, 2.70 Euro). Alle internationalen Züge halten in Baranowitschi.
Garadeya ist keine 5 km von der M 1 entfernt – die Autobahn von Brest nach Moskau. Mit dem Auto ist Nyazvizh somit nicht zu verfehlen.
Sehenswertes
Ein architektonisches Juwel von Nyazvizh (ach was, von Weissrussland!) ist die Фарный костел иезуитов (Farnyi Jesuitenkirche) (was auch immer ‚Farnyi‘ bedeuten soll). Gebaut wurde diese Kirche von Bernhardoni in den Jahren 1584 bis 1593. Diese Kirche war das erste Bauwerk der Jesuiten auf polnischem Boden. Angeschlossen an die Kirche gab es zudem noch ein Jesuitenkolleg, welches jedoch 1826 schloss. Die Kirche ist im frühen Barockstil gebaut worden.
Heute ist die Kirche katholisch und wird auch von der Gemeinde genutzt, obwohl nur ca. 3’000 der 14’000 Einwohner katholisch sind (der Rest ist zumeist orthodox). Der Pfarrer der Kirche ist ein sehr netter Mann, der überglücklich ist, wenn er mal Englisch sprechen kann. Photographieren innerhalb der Kirche ist eigentlich verboten, aber der Pfarrer sagt sofort „Wenn Sie wollen, können Sie auch Photos machen!“. Er bot uns an, die Kirche und sogar die Krypta zu zeigen. Der Altar aus dem 18. Jahrhundert zeigt das Letzte Abendmahl auf eine etwas andere Art und Weise und ist durchaus interessant. Die grosse Krypta beinhaltet die Familiengruft der Radziwiłł – schliesslich hatten diese die Kirche auch zu ihrer Hauskirche gemacht. Etliche Radziwills liegen in ihren Särgen (die frei herumstehen!) in der Gruft, der letzte wurde 1991 beerdigt (wenn ich mich recht erinnere).
Ungewöhnlich ist die Beisetzungsform einer der Frauen von Radziwill. Hier steht der Sarg, dort ein Krug mit ihren Eingeweiden. In einer gesonderten Gruft sind rund 10 Kinder aufgebahrt, welche von der Cholera dahingerafft wurden. Eintritt ist frei, aber die Kirche hat nur geöffnet, wenn der Pfarrer da ist (wegen der vielen Diebe, sagte er).
Ein echtes Schmankerl ist das дворцово – замковый ансамбль (Schloss-Palast-Ensemble), welch schnöder Name!, etwas abseits des Zentrums. Zum Schloss führt ein Weg, der links und rechts von Bäumen und zwei kleinen Seen gesäumt wird. Das Schloss selbst wurde im 16. Jahrhundert gebaut, ebenfalls von Bernhardoni im Auftrag der Radziwill, allerdings wurde es erst im 18. Jahrhundert vollendet. Es beherbergte unter anderem eine bedeutende Bibliothek.
Leider wurde das Schloss 1919 von den vorrückenden Bolschewiki zerstört. Man hat es später halbherzig restauriert und als Sanatorium genutzt. Momentan wird es richtig restauriert, und laut Anschlag am Tor sollen die Arbeiten November 2006 abgeschlossen sein – und so viel ist klar, es wird schön aussehen! Fragt sich, als was es dann benutzt wird. Es gibt auch ein kleines Museum am Eingang zum Komplex, aber das ist noch geschlossen.
War ja klar: Vor dem Schloss steht ein Denkmal nebst ewiger Flamme zu Ehren der Opfer des Grossen Vaterländischen Krieges (sprich WK II). Ansonsten ist die Gegend rund um das Schloss sehr malerisch und lädt zum Spaziergang ein.
Es gibt noch mehr zu sehen – einen schönen Turm neben der Kirche, einige alte Holz- und Steinhäuser, das interessante alte Rathaus in der Mitte des zentralen Platzes und einiges mehr. Alles liegt dicht beieinander, so dass man innerhalb weniger Stunden alles gesehen hat. Alles in allem ist die Stadt definitiv einen Abstecher wert – hier kann man, im Gegensatz zu Minsk zum Beispiel – noch etwas von der weißrussischen bzw. hier auch polnischen Geschichte sehen.
Umgebung
Ca. 30 km weiter nördlich, oder, um es ungeographisch auszudrücken, auf der anderen Seite von Garadeya, befindet sich das kleine Städtchen Мір (Mir), wo man eine grosse Burg aus dem 16. Jahrhundert sehen kann. Wir haben es leider nicht mehr geschafft, bis nach Mir zu fahren. Zum Trost kann man sich den 10’000 Rubel-Schein anschauen: Jener zeigt mir und Dir Mir.
Die Großstadt Baranowitschi sah zumindest für uns nicht vielversprechend aus. Eine grosse, schmutzige, trostlose Industriestadt. Achtung: Es gibt zwei grosse Bahnhöfe in Baranowitschi – Lokalzüge und Fernzüge halten in unterschiedlichen Stationen!
Übernachtung
Es gibt drei Möglichkeiten: Wild zelten, weiterfahren oder das Гасцініца Нязвіж (Gasziniza Nyasvizh). Dieses liegt am zentralen Platz hinter dem alten Rathaus in einem unscheinbaren grauen Haus. Ausländer zahlen hier 13 Euro pro Person im Doppelzimmer – mit eigenem Bad und heissem Wasser! Die Angestellten sind ziemlich nett. Im Erdgeschoss gibt es ein Café, welches willkürlich öffnet und schliesst, sowie das einzige Restaurant der Stadt, welches im Laufe des Abends zur Disko wird. Das Essen ist geniessbar, die Preise akzeptabel (will heissen ein Abendessen mit einigen Getränken, Vor- und Nachspeise kostet ca. 4 Euro).
Adresse: vul. Belaruskaya 9 (aber keiner kennt diese Strasse!!! einfach nach DEM Hotel fragen). Tel.: 01770-553 67
WWW
Die offizielle Internetseite der Stadt scheint es nicht mehr zu geben!!!
- b4w.narod.ru/nesvizh/: Sehr informative Seite über Nyazvizh inkl. Stadtplan, Photos und guten Beschreibungen der Sehenswürdigkeiten. Leider nur auf Russisch.
- www.rikscha-tours.de: Privater Reisebericht auf Deutsch eines mutigen Radfahrers, der auch nach Nyazvizh fuhr. Interessant geschrieben.