Irland – Teil 1: Dublin

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Wir schreiben das Jahr 2024, und es hat sich nun also begeben, dass es im Juli nach Irland gehen soll. Geschäftlich, aber wenn man schon mal da ist, kann man auch gleich ein paar Tage Urlaub dranhängen. Bei der langen Anreise – ein 11-Stunden-Flug nach Abu Dhabi, gefolgt von einem 8-Stunden-Flug nach Dublin, ist ein längerer Aufenthalt fast Pflicht. Die Idee: Drei Tage lang Meetings, gefolgt von einer Woche Herumfahrend auf der grünen Insel.

Der Vorteil der Route über die arabische Halbinsel: Man fliegt am späten Nachmittag oder Abend von Japan los – ein Nachtflug also. Und man kommt am Morgen in Europa an. Wenn man nach der Ankunft bis zum Abend durchhält, vielleicht mit einem kurzen Nachmittagsschlaf, ist der Jetlag kein Thema. Dieses Mal geht es 17:30 los, mit der VAR-Fluggesellschaft Etihad. Nicht zum ersten Mal – 2012 ging es mit dieser Airline schon einmal nach Deutschland. Zu jener Zeit im Gepäck: Meine damals fünfjährige Tochter. Damals grassierte das MERS-Virus, aber die Fälle waren sehr selten und kein Vergleich zu Corona. Damals hatten wir einen – absichtlichen – 24-Stunden-Zwischenstopp in Abu Dhabi. Nach der Ankunft am ganz frühen Morgen ging es deshalb mit dem Taxi zur Grenzstadt Al-Ein und dann für ein paar Stunden nach Oman.

Dieses Mal soll der Zwischenstopp nur gute 2 Stunden betragen. Etihad ruft die verschiedenen Reihen zum Einsteigen auf – erst die hinteren, versteht sich, und zuletzt die Reihen 36 bis 29. Meine Reihe ist die 25 – das macht mich etwas stutzig, aber dann die Überraschung: Weder in der Reihe vor mir noch in der Reihe hinter mir, geschweige denn neben mir, sitzt überhaupt jemand. Der nächste Passagier ist gute 4 Meter entfernt. Das erinnert mich an meinen ersten Fernflug — 1996 war das, mit Air India, und damals saßen nur 20 Passagiere in einer 350+ Passagiermaschine. Dieses Mal war es nicht ganz so – die hinteren beiden Segmente des Flugzeugs waren gut gefüllt, nur im vorderen Segment saß so gut wie niemand.

Wie schön: Im Umkreis von 3, 4 Metern kein einziger Passagier
Wie schön: Im Umkreis von 3, 4 Metern kein einziger Passagier
Der riesige Zayed International Airport von Abu Dhabi
Der riesige Zayed International Airport von Abu Dhabi

Auch sonst klappte es nach Plan — wir kamen pünktlich in Abu Dhabi an und flogen pünktlich weiter. Das nächste Flugzeug war ziemlich alt, sehr eng und proppenvoll, aber vorsichtshalber hatte ich einen Platz am Notausstieg gesichert, da ich mir sicher war, dass mir die Enge beim zweiten Flug auf die Nerven gehen wird. Und so landeten wir pünktlich um 7 Uhr morgens in Dublin – fast 22 Stunden nach dem Abflug in Tokyo. Die Einreise ging, da EU-Bürger, fix — das Gepäck dauerte etwas länger, aber das ist bei der Menschenmasse kein Wunder. Raus aus dem Flughafengebäude, und erstmal in Kältestarre verfallen: In Tokyo betrug die Temperatur bereits über 30 Grad, und in der Nacht fiel sie nicht unter 25. Dublin am Morgen des 2. Juli: 12 Grad, mit Nieselregen.

Okay, was wissen wir über Irland? Größtenteils katholisch, bisweilen streng katholisch. Guinness. Whiskey. Weit mehr Iren außerhalb Irlands als im Mutterland. Sommer = der Regen wird etwas wärmer. Grüne Insel. Viele Schafe. Blassgesichtige Rothaarige. Und so weiter. Doch zwei Vorurteile konnte ich beim Verlassen des Flughafens gleich über Bord werfen:

  1. Nein, der Regen war nicht viel wärmer als im Winter
  2. Überall, wohin man auch schaute, gab es LGBTQ+ (man verzeihe mir, wenn ich ein paar Buchstaben vergessen habe)-Flaggen. Irland war offensichtlich ziemlich „woke“ geworden

Andere Vorurteile konnte ich hingegen ziemlich schnell bestätigen – zum Beispiel das des unverständlichen Dialekts. Die Antwort eines Busgesellschaftsangestellten nach der richtigen Buslinie konnte ich nur mit Mühe verstehen.

Nach guten 30 Minuten Fahrt und 12 Euro ärmer kam ich im Stadtzentrum an. Endhaltestelle war Trinity College, von wo es laut Angestelltem nur ein 5-Minuten-Fußmarsch zum Hotel war. Ein Blick auf Google Maps zeigte jedoch, dass ich besser eine Station vorher aussteige – doch selbst so waren es rund 15 Minuten zu Fuß. 

Erster Eindruck: Etwas schmutzig, ein paar verrückte Gestalten, nass, kalt – und unglaublich viele Möwen. Und zwar richtige Kawenzmänner – dem gegenüber waren die Raben hier fast niedlich. Quasi das Gegenteil zu Japan. Vorerst wollte ich aber erstmal mein Gepäck loswerden, und das freundliche Hotelpersonal davon überzeugen, mich etwas eher als 15 Uhr einchecken zu lassen, was auch gelang. Vom Gepäck befreit ging es auf einen ersten Stadtbummel durch Dublin, um die Zeit bis 14 Uhr totzuschlagen.  Eines der Wahrzeichen der Stadt, da nicht zu übersehen, war eine riesige Stahlnadel mitten im Zentrum, die ich erstmal für einen gigantischen Fahnenmast hielt. Später erfuhr ich, dass „The Spire“ kein Fahnenmast ist, dafür aber abends eine leuchtende Spitze hat. Wie praktisch – das hilft ungemein bei der Orientierung. 

Beim Bummeln entdecke ich doch tatsächlich ein – offensichtlich sehr neues – Chinesisches Restaurant, in dem Bianbian-Mian, sogenannte “Gürtelnudeln“, serviert werden – sehr würzig, auf Xi‘an-Art, und ein Gericht, an dem ich einfach nicht vorbeikomme. Da ich mir sicher bin, in den kommenden zehn Tagen genügend auf Irish Stew, Fish & Chips und Co. zu treffen, kehre ich also hier ein – und bezahle rund 16 Euro für ein füllendes und zugegebenermaßen sehr schmackhaftes Mahl. Ich rechne das lieber nicht in Yen um, denn der Yen ist momentan so schwach, dass einem schwindlig wird. 

Etwas ungewöhnlich aber eindrucksvoll: "The Spire" im Herzen von Dublin
Etwas ungewöhnlich aber eindrucksvoll: „The Spire“ im Herzen von Dublin
Nein, nicht irisch, aber unwiderstehlich: Bianbian-Mian im Xian Street Food Dublin
Nein, nicht irisch, aber unwiderstehlich: Bianbian-Mian im Xian Street Food Dublin

Um 14 Uhr kann ich endlich mein Zimmer beziehen – schön ist es, denn das Hotel ist in einem älteren Gebäude untergebracht. Es ist auch makellos sauber, mit Ausnahme des Fensters, das von außen dermaßen mit Vogelkot zugeschmiert ist, dass man sich wundert, wie das möglich ist. Fliegen die Vögel direkt auf das Fenster zu, machen dann eine 180-Grad-Kurve und klinken dabei in der Kurve aus? Und wie kann man dermaßen viel Energie in die Reinigung der Zimmer stecken – dann aber die Fenster so lassen wie sind? Rätsel über Rätsel. 

Nach einer kurzen Pause ist auch schon Zeit für‘s Geschäftliche, gefolgt von einem Abendessen in einem Pub. Fish & Chips natürlich, aber die mushed peas muss man wahrscheinlich mögen. 

Und so sollen dann auch die nächsten zwei Tage vergehen – kürzere und längere Stadtbummel, längere Meetings und abendliche Abstecher in die Stadt. Bei einem Spaziergang hören wir gegen Mittag, an der belebtesten Brücke der Stadt, hinter uns einen Aufschrei: „Me face, me face!“. Wir werden Zeuge, wie zwei kräftig aussehende Undercover-Beamte einen Dealer festnehmen – und dabei sein Gesicht auf den Bürgersteig drücken. Auch rund um das Hotel geht es hoch her. Gegen Mitternacht trete ich für eine Zigarette nach draußen, als ich dort eine reglose Person auf dem Bürgersteig bemerke. Neben ihm zwei Männer, wobei einer offensichtlich gerade versucht, einen Notarzt zu rufen. Die Kommunikation ist schwierig – der Notarzt will wissen, ob die reglose Person einen Puls hat und atmet, doch die beiden Männer wissen damit nichts anzufangen. Also trete ich dazu, fühle den Puls und beobachte seine Atmung und leite das an den Notarzt weiter. Dieser meint daraufhin, wir sollen den Mann auf gar keinen Fall bewegen – das finde ich zweifelhaft, denn das Ganze sieht auf gar keinen Fall wie eine eventuelle Rückenverletzung oder Ähnliches aus. Die Lage eskaliert – ein anderer, leicht verwahrloster Mann stürzt aus der Tür nebenan – offensichtlich eine Unterkunft für Obdachlose – und ruft „Jeremy, Jeremy – breath, mate!“ Von ihm erfahren wir, dass besagter Jeremy ein Epileptiker ist und wahrscheinlich gerade einen schlimmen Anfall hatte. Ich organisiere derweilen eine Decke vom Portier, denn es ist kalt draußen, während ein anderer, der sich mit „ich habe ein bisschen Ahnung davon, spreche aber nur wenig Englisch“ vorstellt, Jeremy in die stabile Seitenlage bringt, soweit ich weiß eine richtige Entscheidung, denn in der Rückenlage könnte sich Jeremy leicht an seiner Zunge oder anderem ersticken. Alle beginnen ein bisschen auf den Notarzt und das System zu schimpfen – dass Obdachlosen nicht oder nur viel zu spät geholfen wird und so weiter, doch rund 5 Minuten später taucht ein Wagen der Feuerwehr nebst Notarzt auf. Jeremy ist damit vorerst, wie es scheint, gerettet.

The Confession Box – ein schöner kleiner Pub in Dublin
The Confession Box – ein schöner kleiner Pub in Dublin
In der Temple Bar ist immer was los – dafür sorgen auch richtig gute Musiker
In der Temple Bar ist immer was los – dafür sorgen auch richtig gute Musiker

Apropos Rauchen – die Schachtel Zigaretten kostet in Irland zu diesem Zeitpunkt circa 17 Euro – umgerechnet sind das etwa 2800 Yen — fast das 6-fache dessen, was Zigaretten in Japan kosten. Das hat zur Folge, das man ständig und überall gefragt wird, ob man eine Zigarette hat. Zu oft. Die einzige Antwort, die zu helfen scheint, ist „Sorry, habe die auch nur von jemand Anderem“. Andere Antworten ziehen nicht – als ich antwortete „sorry, sind in meinem Hotelzimmer“, was auch stimmte, sagte mir der Fragende gütigerweise „Oh, no problem! I can wait here!“ Wie gütig. Die Lieblingszigarettenmarke in Irland ist zweifelsohne „Van Anderen“. 

An einem Abend begebe ich mich zur Temple Bar, dem wohl bekanntesten Pub in Dublin. Dieser und zahlreiche weitere Pubs in der unmittelbaren Umgebung sind allesamt sehr gut besucht — und überall wird Musik gespielt. Die beiden Musiker in der Temple Bar sind wirklich gut, von alten irischen Volkswaisen bis Oasis ist alles dabei, und alle singen beziehungsweise grölen lauthals mit. Partystimmung – mit sehr vielen Spaniern, Engländern und diversen anderen Nationalitäten. Asiaten sieht man hier (beziehungsweise in ganz Dublin eigentlich) nur sehr selten.

Möwen in Dublin.. sie sind zahlreich, laut und wissen, sich zu verpflegen
Möwen in Dublin.. sie sind zahlreich, laut und wissen, sich zu verpflegen
Diese noch junge Möwe wartet darauf, dass der Supermarkt endlich aufmacht
Diese noch junge Möwe wartet darauf, dass der Supermarkt endlich aufmacht

Gut drei Tage nach der Ankunft in Dublin habe ich mich halbwegs akklimatisiert und halte es nunmehr für relativ normal, dass es an einem Nachmittag im Juli 16 Grad warm ist. Nur im T-Shirt laufe ich allerdings, im Gegensatz zu einigen Eingeborenen, noch nicht herum. Der Verdacht vom ersten Tag hat sich in der Zwischenzeit auch erhärtet: Dublin hat zwar seinen Reiz, aber so richtig sicher kann man sich hier nicht fühlen. Drogenabhängige. Obdachlose, Krach in der Nacht, Festnahmen am helllichten Tag, überall Türsteher – alles Anzeichen sozialer Spannung. Der Ursprung allen Übels ist wohl die Tatsache, dass es akut an Wohnraum mangelt: Sozialer Wohnungsbau ist wohl so gut wie nicht existent, aber der Migrationsdruck ist durchaus da – so flüchteten zum Beispiel rund 100’000 Ukrainer nach Irland, welches selbst jedoch nur gut 5 Millionen Einwohner hat. Rechnete man die Zahl auf die Bevölkerung Deutschland hoch, wären das im Falle Deutschlands 1,6 Millionen Geflüchtete. Der Wohnungsmangel sorgt auf jeden Fall dafür, dass plötzlich sogar Familien obdachlos werden können. Ein kleiner Schicksalsschlag, und schon ist die Wohnung weg. 

Im Stadtzentrum von Dublin
Im Stadtzentrum von Dublin
Kunstinstallation im berühmten Trinity College
Kunstinstallation im berühmten Trinity College

An einem Nachmittag geht es zum GPO im Herzen von Dublin – dem General Post Office. Dies ist nicht nur Sitz von An Post, der irischen Post, sondern auch Symbol des Freiheitskampfes, denn das GPO war Hauptquartier der irischen Republikaner, als sie beim Osteraufstand im Jahr 1916 gewaltsam versuchten, Irland aus der Krone zu lösen. Der blutige Aufstand endete mit einer Niederlage der Republikaner – hunderte Briten, irische Freiheitskämpfer und mindestens genauso viele Zivilisten kamen ums Leben, ein Teil des Stadtzentrums wurde zerstört. Die Entscheidung der Briten, 16 der Anführer zu exekutieren, schweißte das irische Volk enger zusammen und ebnete so den Weg für die Unabhängigkeit, die nur sechs Jahre später erreicht wurde. Im Keller des schönen Postgebäudes ist ein Museum über den Osteraufstand eingerichtet wurden – jenes ist zwar lehrreich, aber mit 17 Euro überraschend teuer. 

Das GOP in Dublin - Zentrum des Unabhängigkeitskampfes Irlands
Das GOP in Dublin – Zentrum des Unabhängigkeitskampfes Irlands
Der River Liffey im Zentrum von Dublin
Der River Liffey im Zentrum von Dublin

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