Nach einer weiteren Nacht in Pusan ging es mit dem langsamen T’ongil-Zug von Pusan Richtung Norden nach Kyŏngju in der Provinz Kyŏngsangbuk-do. Die Fahrt dauerte etwa zwei Stunden und kostete 3’000 Won pro Person.
Als wir ausstiegen, kam die eiskalte Überraschung: Während es in Pusan mit geschätzten plus zehn Grad im Vergleich zu Seoul regelrecht warm war, herrschte in Kyŏngju richtig strenger Frost – so um die minus fünfzehn Grad etwa – und ein scharfer Wind.
Kyŏngju ist eine ziemlich kleine, verschlafene Provinzstadt. Das war nicht immer so. Die Stadt wurde kurz vor unserer Zeitrechnung gegründet und war ca. 1000 Jahre lang Hauptstadt der Shilla-Dynastie. Nach der Vereinigung der drei Königreiche war sie danach sogar 300 Jahre lang Hauptstadt der ganzen Koreanischen Halbinsel. Wohin man in der Stadt auch schaut – überall trifft man auf Zeugen jener glorreichen Zeit. Dies sind insbesondere zahlreiche Tempel und vor allem die charakteristischen Grabhügel, von denen es im Stadtbereich Dutzende gibt (siehe Photo). Südlich an das unmittelbare Zentrum angeschlossen befindet sich ein grosses Gräberfeld – das 古墳公園 고분공원 Gobun Gongwon (auf deutsch „Gräberpark“). Hier befinden sich – von einer Steinmauer umgeben – 20 Hügelgräber. Rund um Kyŏngju gibt es insgesamt geschätzte 250 davon. Eines der Gräber im Park wurde in den siebziger Jahren geöffnet – man fand 12’000 Grabbeigaben allein in diesem! Heute ist es begehbar. Eintritt kostet 880 Won.
Weiter südlich findet man ein historisches Observatorium, das 瞻星臺 첨성대 Ch’ŏmsŏngdae. Es stammt aus dem 7. Jahrhundert und gilt als das älteste Observatorium Ostasiens. In der Mitte steht ein kleiner Turm mit einem Fenster in der Mitte. Vom Boden zum Fenster gibt es 12 Schichten Steine, vom Fenster zur Spitze ebenfalls. Der komplette Turm besteht aus genau 365 Steinen. Eintritt kostet 160 Won.
Das Leben in Kyŏngju spielt sich zwischen dem Bahnhof und den beiden Busbahnhöfen ab. Nahe der beiden Busterminals befindet sich das 韓進莊旅館 한진장 여관 Hanjin-Jang Yŏgwan (Hanjin-Hostel), eine mit 25’000 Won pro Doppelzimmer noch preisgünstige Herberge. Die Einrichtung –
darunter auch ein schöner Gemeinschaftsraum – ist in Ordnung, und der Besitzer ein wirklich sehr netter Mann, der mir zum Abschied so mir nichts dir nichts eine vorher selbst angefertigte Kalligraphie schenkte.
Nicht, dass die Sehenswürdigkeiten in Kyŏngju ausreichen würden – im gesamten Umland wimmelt es nur so von Tempeln, Schreinen und Gräbern etc. Das wissen die Koreaner freilich zu nutzen – in der Region gibt es unzählige Hotelkomplexe. Die meisten Besucher kommen aus dem nahen Japan, und im Sommer ist in und um Kyŏngju die Hölle los. Im bitterkalten Februar allerdings kann man bibbernd aber entspannt alles in Ruhe betrachten. Auch nur einen Teil aller sehenswerten Orte der Region zu besuchen würde indessen Wochen beanspruchen. Eines sollte man sich allerdings nicht entgehen lassen – den Besuch des 佛國寺 풀국사 Bulguksa. Der befindet sich rund 15 km südöstlich der Stadt und ist bequem mit dem Bus zu erreichen (Linien 11, 12, 101, 102). Gebaut wurde er zur Zeit der Shilla-Dynastie im Jahr 528. Leider wurde er während einer der japanischen Invasionen 1593 zerstört. Erst im Jahr 1970 beschloss und vollzog man den Wiederaufbau. Es ist nicht nur die Anlage selbst, die fasziniert – es sind die Details. Unglaublich feine Holzmalereien und Schnitzarbeiten lassen die Kinnlade herunterklappen. Hinter der Front der Anlage (siehe Photo) geht es stufenweise den Berg herauf – mit vielen kleinen Höfen; kleinen Pagoden in den Höfen usw. usf. Einer der schönsten wenn nicht der schönste Tempel, den ich bisher in Asien gesehen habe. Im Ernst – die Schönheit des Pulguksa in Worte zu fassen ist mir zumindest unmöglich. Wir hatten grosses Glück bei diesem Besuch: Bei stahlblauem Himmel (und minus zehn Grad und starkem Wind) waren wir die einzigen Besucher an jenem Tag. Der Eintritt in den Tempel kostet 3’000 Won. Hinter dem Pulguksa wartet eine weitere Attraktion – die Sokkuram-Grotte, eine Granithöhle mit einer grossen Buddhastatue, die um 1900 zufällig von einem vor dem Regen Schutz suchenden Briefträger entdeckt worden war. In der Stadt Kyŏngju gibt es auch ein brauchbares Museum, in dem man sich einen guten Überblick verschaffen kann.