Echmiatsin

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Echmiatsin Էջմիածին

Tag 8: Jerevan – Echmiatsin. Hier geht die Reise weiter: Tag 9: Jerevan > Tbilisi
Echmiatsin - Zentrum der armenisch-apostolischen Kirche
Echmiatsin – Zentrum der armenisch-apostolischen Kirche

Nun waren wir schon zwei Tage in Jerevan, haben aber – von nächtlichen Spaziergängen einmal abgesehen, noch nichts von der Stadt gesehen. Dem sollte heute Abhilfe geschaffen werden, aber zuerst war Echmiadzin unser Ziel – das religiöse Zentrum Armeniens. Die Stadt ist auch unter dem Namen Vagharshapat Վաղարշապատ bekannt und hat knapp 50’000 Einwohner. Wir merkten am Vorabend schon, dass wir bei weitem nicht genug Zeit für Armenien mitgebracht haben. So mussten wir uns nun an diesem Tag zwischen den Tempeln bei Garni & der Festung bei Geghard oder Echmiadzin entscheiden. Anait sagte uns, dass alle drei Sachen ein must-see sind. Deshalb entschieden wir uns schweren Herzens für Echmiadzin, um noch Zeit für einen Jerevan-Bummel zu haben.

Dieses Mal mussten wir nicht erst zum Busbahnhof, sondern konnten vom Stadtzentrum aus mit einem alten Bus fahren. Die Strasse nach Echmiadzin ist richtig gut – die erste halbwegs schlaglochfreie Strasse die wir bisher in der Region gesehen haben. Bevor man nach Echmiadzin kommt, kann man linkerhand den internationalen Flughafen sehen. Was nicht nur an dieser Strasse sondern auch anderswo sehen kann – hunderte von Vulkanisateuren am Strassenrand. Eine Gemeinsamkeit vieler armer Länder – da die Autos meist ziemlich alt und anfällig sind, verdienen viele ihr Geld mit Autoreparaturen, wobei bei der grossen Konkurrenz bestimmt nicht viel abfällt.

Echmiadzin ist eine kleine, grosszügig gebaute Stadt mit grosser historischer Bedeutung – sie war von 180 bis 340 a.D. unter dem Namen Vagharshapat bekannt. Von richtig grosser Bedeutung wurde sie 303, als Armenien die erste christliche Nation der Welt wurde. Die Geschichte hierzu ist interessant (auszugsweise aus dem lonelyplanet
übersetzt): Der damalige König Trdates III liess die christliche Jungfrau Hripsime steinigen, da sie sich weigerte, ihn zu heiraten. Seitdem hatte der König ein Problem – er dachte, er sei ein Schwein. Hilfe versprach nur einer – der christliche Gefangene Gregorius, den man schon seit 12 Jahren in einem unterirdischen Verlies gefangen hielt. Der heilte den König, welcher daraufhin so dankbar war, dass er sich und das Land zum Christentum konvertierte. Jesus erschien derweilen Gregorius im Traum und zeigte ihm, wo er eine Kirche bauen solle. Zudem gab er ihm den Namen „Gregorius der Erleuchtende“. Der Name Echmiadzin wurde ebenfalls aus der Taufe gehoben – er bedeutet soviel wie „Niederkunft des einzig Gezeugten“.

Eingang zum Kirchenbereich: Moderne & Religion
Eingang zum Kirchenbereich:
Moderne & Religion

Vor dem Christentum war in Armenien – wie auch in vielen anderen Völkern – der animistische Pagankult vorherrschend. Praktischerweise wurde die erste Kirche in Echmiadzin – genauso wie viele andere Kirchen in Armenien – direkt über einer Pagankultstätte errichtet. Diese wurde dabei allerdings nicht ganz zerstört; Reste davon kann man unterhalb der Kirche besichtigen. Seit das Christentum in Armenien eingeführt wurde, ist Echmiadzin eine heilige Stadt und die wichtigste religiöse Stätte des Landes – und zwar in einem Land voller heiliger, religiöser Stätten. Nebenbei gesagt gibt es auch in der Türkei zahlreiche armenische Kirchen. Eine ganze Ansammlung davon findet man in Ani nahe Kars – unweit der armenischen Grenze.

Wir beschlossen, in die Kirche zu gehen. Dort gab es gerade einen Gottesdienst, der im wahrsten Sinne des Wortes zelebriert wurde: Links sang ein Männerchor, rechts ein Frauenchor in schönen Gewändern; am Altar wurden zahlreiche religiöse Handlungen vollzogen – scheinbar wurden gewisse Stellen der Bibel und der Landesgeschichte geradezu nachgespielt. Priester in unterschiedlichsten Gewändern und Mönche in schwarzen Kostümen, die stark an die spanische Inquisition erinnern, durchschritten den Altarraum. Dazu lag ein schwerer Weihrauchgeruch in der Luft. Viele Menschen beteten inbrünstig und knieten dazu auf dem Steinboden. Eine wahrhaft beeindruckende Atmosphäre. Ich fühlte mich ins Mittelalter zurückversetzt. Die Re-Christianisierung nach dem Zerfall der Sowjetunion muss schnell um sich gegriffen haben. In Georgien wie in Armenien bemerkten wir immer wieder, wie fast alle Menschen sich bekreuzigen, sobald man an einer Kirche vorbeifährt.

Auch in Echmiadzin gibt es einen Souvenirshop, in dem sich sogar einige Touristen tummelten. Nun ging es mit dem Bus wieder zurück nach Jerevan ins Stadtzentrum, um nun endlich mal die Stadt bei Tageslicht zu betrachten. In Armenien bemerkten wir immer wieder, wie fast alle Menschen sich bekreuzigen, sobald man an einer Kirche vorbeifährt.

Stadtplan von Jerewan
Stadtplan von Jerewan

Jerevan, auch Erivan, Yerevan oder Erebuni (nach einer alten Festung) genannt, hat heutzutage schätzungsweise 1,1 Millionen Einwohner und ist damit mit grossem Abstand die größte Stadt des Landes. Die Anfänge lassen sich bis auf das 8. Jhd. v.Chr. zurückdatieren. Da Jerevan am Rande der Urartischen Hochebene liegt und zu den anderen drei Seiten Hügel und Schluchten natürlichen Schutz bieten, bot sich dieser Schnittpunkt mehrerer Handelsstrassen an für eine lokale Metropole. Zahlreiche Handelsreisende auf ihrem Weg zwischen Asien und Europa durchquerten die Stadt. Mehrfach den Besitzer wechselnd, fiel die Stadt wie auch Armenien 1828 von den Persern an die Russen. Um das Jahr 1920 gestaltete der Architekt Alexander Tamanian das Stadtzentrum völlig neu – und hat dafür meiner Meinung nach einen Preis verdient. Ein klares, schönes Stadtbild mit viel Grün im Zentrum und leicht verständlicher Strassenführung – das Zentrum strotzt nicht unbedingt vor historischen Denkmälern, aber es ist eine angenehme Stadt in der man gerne etwas spaziert. Keinen Preis verdient haben die Erbauer der Grossen Kaskade. Der Anlass zu dieser grössenwahnsinnigen und scheinbar nicht vollständigen Orgie aus Beton war der 50. Jahrestag des Einzuges des Sowjetsozialismus in Armenien. Wenn wenigstens, wie gedacht, Wasser die Kaskaden herunterfliessen würde – aber das wurde verständlicherweise wegen akuten Wassermangels abgestellt. Alles an allem ist Jerevan eine sehr moderne und mondäne Stadt, in der es sich hervorragend aushalten läßt.

Vor unserem Stadtrundgang stärkten wir uns erstmal in einem kleinen Strassencafé, um anschliessend die naheliegende Markthalle an der Mashtots Ave. heimzusuchen. Dort werden nur Lebensmittel verkauft – wozu freilich auch unzählige Sorten – zugegebenermassen ziemlich lecker aussehende – Süssigkeiten und Gewürze verkauft werden. Normalerweise habe ich kein gutes Gefühl, in solchen Ländern in oder auf Märkte zu gehen, obwohl ich schon vorher weiss, dass ich nichts kaufen werde. Auch in diesem werden wir, auf freundliche Art und Weise, bedrängt, hier und da etwas zu probieren. Und einiges davon war wirklich gut – wäre ich am nächsten Tag nach Hause geflogen, hätte ich bestimmt einiges gekauft. Die Händler sind auch keineswegs sauer, wenn man nichts kauft.

Gewürzstand in einer Markthalle, Jerevan
Gewürzstand in einer Markthalle, Jerevan

Irgendwann kommen wir auch an einer Post vorbei, wo wir unsere Karten einwerfen können. Porto nach Deutschland ist mit 0.50 € recht billig. Und wir kommen an einem Lebensmittelladen vorbei, in dem ich nicht umhin komme, eine Flasche des berühmten armenischen Cognacs zu kaufen. Selbst Charles de Gaulle liess sich selbigen angeblich stets importieren, und er musste es ja wissen. Eine Flasche 10jähriger Cognac kostete dort rund 10 €. Nachdem wir das Stadtzentrum nun fast vollständig erkundet hatten, liefen wir Richtung Genozid-Mahnmal. Da es ja langweilig ist, einfach einer Strasse zu folgen, suchten wir uns einen Weg durch die Schlucht, wobei wir auch am wirklich schön gelegenen Stadion der Stadt vorbeikamen. Daneben fanden wir einen grossen Markt vor, auf dem von hochmodernen Kühlschränken über Videorekorder bis hin zur Kleidung nahezu alles Nicht-Essbare verkauft wurde. Eine weitere Station auf der modernen Seidenstrasse von China nach Europa… Unweit des Stadions und Marktes hoch oben auf einem Hügel befindet sich das Genozid-Mahnmal.

Dazu zählt ein weithin sichtbarer Obelisk sowie ein offenes Gebilde, in dessen Inneren eine ewige Flamme lodert. Das ganze ist von einem Gedenkpark umgeben, in dem sich auch zahlreiche Gedenktafeln aller weltbekannten Politiker befinden. Die neue Türkei, deren Bildung eine millionenstarke armenische Minderheit zum Opfer fiel – ein nationales Trauma Armeniens mit dem bitteren Beigeschmack, dass dieses (nunmehr leider nicht beispiellose)
Verbrechen kaum Gehör in der Weltöffentlichkeit fand. Hier steht die Vergangenheitsbewältigung noch aus, denn eine Tragödie solchen Ausmasses verjährt ganz sicher nicht nach einem Jahrhundert.

Geht man ein Stück weiter, trifft man auf ein architektonisch doch recht eigenartiges, grosses Gebäude, welches sich nach näherer Betrachtung als Kulturpalast entpuppte. Ein interessantes aber auch bröckelndes Beispiel moderner Architektur. Etliche der völlig zerstaubten Scheiben sind kaputt, die Türen notdürftig verriegelt und einige Fassadenplatten sind abgefallen – ich war der festen Überzeugung, dass das Gebäude nicht mehr benutzt wird, aber Anait versicherte mir später, dass es dort durchaus noch Konzerte und andere Veranstaltungen gebe.

Platz der Republik im Zentrum Jerevans
Platz der Republik im Zentrum Jerevans

Zu um sieben abends waren wir mit unserem zwei Tage zuvor kennengelernten, nervösen armenischen Freund verabredet. Deshalb gingen wir gegen sechs zu unserer Unterkunft zurück um vorher noch etwas auszuspannen. Allerdings tauchte er schon kurz vor halb sieben auf. Er studiere Geschichte, und interessiere sich auch für europäische und fernöstliche Geschichte. Er gibt alles und versucht, komplett auf Englisch zu reden. Allerdings ist das etwas seltsam. Ich teste ihn ein bisschen und frage ihn auf Englisch, ob er wisse, wer der erste Kaiser war. Er weiss es tatsächlich. Irgendwann kommen wir mehr auf Deutschland zu sprechen – so benutze ich also das Wort „Germany“. „The first German emperor“ hatte er zuvor verstanden, „Germany“ aber nicht:

„Germany!“
„What?“
„Germany! German country!!!“
„Sorry, I no understand! Little English!“…stimmt! Also sag ich es auf Russisch
„Germaniya!“
„Aaah, Germaniya! That’s Germany in English, right!?“

und so weiter und so fort. Sozusagen selektives Wissen. Um sieben ziehen wir los und und laufen die Kaskade hoch – ein Beton gewordener architektonischer Alptraum und dazu noch unvollendet.

Schliesslich landen wir in einem Vergnügnungspark, wie es ihn auch in allen russischen Städten gibt. Irgendwo kaufen wir uns Eis, und schwupps verschwindet die Verpackung in den Büschen. Ich sage ihm, dass das nicht gut sei – ohne Müll sieht es doch angenehmer aus oder wie denkt er darüber. Freudestrahlend sagt er, dass es in Armenien eigentlich kein Umweltbewusstsein gibt.

Bald stehen wir vor „Mutter Armenien“ – einer riesengrossen Statue, von der man einen herrlichen Ausblick auf die Stadt und auch den Ararat hat. „Mutter Armenien“ hält leider im Gegensatz zur „Mutter Georgien“ (siehe Tag 5) nur ein Schwert parat. Und sie ist von allerlei Kriegsgerät umgeben.

Es beginnt zu regnen und Hunger haben wir auch, und so führt er uns zu einem schlichten Restaurant. Die jungen Kellnerinnen interessieren sich offensichtlich sehr für uns und fragen ihn dies und das – und er geniesst das in vollen Zügen. Kann es sein, dass er uns nur deshalb treffen wollte? Diese dunkle Ahnung kommt in mir zumindest hoch. Wir essen dort typisch Armenisches und auch eine Pizza, die allerdings ungewöhnlich schlecht schmeckte. Wir wollten ihn natürlich einladen, aber das scheint unser Freund als selbstverständlich anzusehen. Und bedankt sich nicht mal dafür. Wir treten den Heimweg an und bekommen unterwegs stets knappe Befehle beim Strasse überqueren: „Now go!“…“Stop, stop!“…“Come here! Quick!“… Langsam wird es extrem.

An einem Kiosk möchten wir als Dankeschön eine Flasche Wein für Anait kaufen. Er hat zwar keine Ahnung von Wein, versucht uns aber trotzdem zu beraten. Ich wähle schliesslich einen mit ca. 3 € vergleichsweise teuren Wein. Er fragt „Für wen ist der eigentlich?“, und ich sage ihm für wen. „Ach, eine Frau! Na dann ist doch hier der ganz billige genug, oder?“. Jedenfalls sind wir heilfroh, als wir bei uns zuhause ankommen und ihn los sind. Klar ist er nett, aber sehr, sehr seltsam und wirklich nervend. Ich bin sicher, dass Armenier über ihn genauso denken.

Leider ist dies unsere letzte Nacht in Armenien – wahrhaftig ein viel zu kurzer Aufenthalt. Ich rede mit Anait noch über dies und das und wir sind uns einig, dass wir nochmal wiederkommen müssen.

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An- & Abreise

  • Linienbus Nr. 111 fährt direkt nach Echmiadzin von der Mashtots Ave. Ecke Lusavorich-Strasse, für 220 Dram. Die Fahrt dauert keine ganze Stunde. Marshrutkas gibt es natürlich auch.
  • Zum etwas abseits gelegenen Genozid-Mahnmal kann man zwar laufen, aber es ist etwas abgelegen. Vom Theater fährt unter anderem Marshrutka No 70 direkt dorthin.

Unterkunft

  • Dass es in Echmiadzin Hotels gibt kann man bezweifeln – schliesslich ist Jerevan wirklich um die Ecke. Übernachtung dort siehe Tag 6.

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